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Pandemien und Epidemien im 20.und 21.Jahrhundert

 

(dgh) Dr. Ludwig Knabl junior, FA für Hygiene und medizinische Mikrobiologie an der Medizinischen Universität Innsbruck beschreibt im Folgenden einige Virus-Pandemien und Epidemien der jüngeren Geschichte, um die derzeitigen Ereignisse ein wenig besser einordnen zu können.

1918/1919 etwa grassierte die spanische Grippe, eine Epidemie die durch einen besonders virulenten Abkömmling des Influenzavirus (Influenza-A-Virus Subtyp H1N1) verursacht wurde. Diese Epidemie war für schätzungsweise 25 bis 50 Millionen Tote verantwortlich, mehr als durch den 1. Weltkrieg! Sie betraf besonders Personen in der Altersgruppe von 15-40 Jahre. Der Virusstamm verschwand erst 1957 mit dem Auftreten eines anderen Influenzavirus (Influenza-B-Virus Subtyp H2N2), dem Erreger der asiatischen Grippe. Diese Epidemie forderte schätzungsweise 1 bis 4 Millionen Tote wie auch die im Jahr 1968 durch ein wiederum neues Influenzavirus (Influenza-A-Virus Subtyp H3N2) ausgelöste Hongkong-Grippe. Im Jahr 1977/1978 kam es zu einem neuerlichen Ausbruch mit dem für die spanische Grippe verantwortlichen Virus (Influenza-A-Virus Subtyp H1N1). Diese Epidemie wurde als russische Grippe bekannt und war für vermutlich 700.000 Todesfälle verantwortlich. Seit diesem Ausbruch zirkulieren 2 Influenzavirus-Subtypen in der menschlichen Population, Influenza-A-Virus Subtyp H1N1 und Influenza-A-Virus Subtyp H3N2. Im Frühjahr 2009 tauchte in Nordamerika eine bisher noch nicht beschriebene Unterart des Influenza-A-Virus Subtyp H1N1 auf, der für die Entwicklung der Schweinegrippe-Pandemie verantwortlich war. 

 
2002 kam es in der chinesischen Provinz Guangdong zu Erkrankungsfällen mit dem neuartigen SARS-assoziierten Coronavirus. Dieses Virus gehört zur Familie der Coronaviridae, der das 2012 erstmals beschriebene MERS-Coronavirus und das im Dezember 2019 neu aufgetretene Virus SARS-CoV-2 ebenfalls angehören.  Die im Jahr 2002 aufgetretene SARS-Pandemie war die 1. Pandemie des 21. Jahrhunderts und forderte weltweit 774 Tote. Das MERS-Coronavirus hingegen ist nur schwer von Mensch zu Mensch übertragbar und macht somit die Entwicklung zu einem globalen Problem im Sinne einer flächenhaften Ansteckung unwahrscheinlich.


Im Dezember 2019 traten in der chinesischen Provinz Hubei in der Stadt Wuhan Erkrankungen mit dem bis dato noch unbekannten Erreger SARS-CoV-2 auf. Es kam zu einer raschen Häufung der Krankheitsfälle und dem Auftreten in anderen Ländern. Inzwischen wurden Erkrankungsfälle aus fast allen Ländern der Erde gemeldet.


Infektionen mit dem Virus SARS-CoV-2 können die Erkrankung COVID-19 verursachen. Bei 19 bis 31% der Menschen kommt es jedoch zu keinem Krankheitsausbruch. Diese Menschen können das Virus aber dennoch für eine bestimmte Zeit auf andere Mitmenschen übertragen und so zur Verbreitung von SARS-CoV-2 beitragen. Die durch das Virus bedingte Krankheit COVID-19 verläuft in der Regel mit moderater klinischer Symptomatik wie Fieber und trockenem Husten. Bei Kindern kommt es eher zu atypischen Krankheitserscheinungen wie Durchfall und Erbrechen. Während es bei Kindern nur in seltenen Fällen zu schweren Verläufen von COVID-19 kommt, kann es besonders bei gesundheitlich vorbelasteten Personen zur Entwicklung eines akuten Lungenversagens kommen. Als Risikofaktoren gelten nach derzeitigem Wissensstand vor allem Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, Diabetes mellitus und ein Alter über 60 Jahre. Aktuell geht man nicht davon aus, dass das Virus von der Mutter auf das ungeborene Kind übertragen werden kann.


Die Zeitdauer von der Infektion bis zum Ausbruch der Erkrankung beträgt zwischen 1,1 und 11,1 Tagen- der Median liegt bei 7,5 Tagen. Die zuverlässigste Methode zur Diagnosestellung, sowohl einer Infektion als auch der damit verbundenen Erkrankung COVID-19, stellt die Durchführung einer RT-PCR, einem speziellen molekularbiologischen Verfahren, aus einem tiefen Rachenabstrich dar.
Eine spezielle das Virus bekämpfende Therapie, wie sie zum Beispiel für eine Reihe von anderen Viren vorhanden ist, ist momentan nicht verfügbar. Impfstoffe, die einen Schutz vor SARS-CoV-2 vermitteln befinden sich in Entwicklung.

Und die jährliche Influenza-Epidemie? Dr. Ludwig Knabl junior erinnert aber auch an die Influenza-Epidemien, die saisonal auftreten: 2018/2019 gab es in Österreich schätzungsweise 1.400 mit der Influenza-assoziierte zusätzliche Todesfälle. Betroffen sind vor allem ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen. Knabl junior: „Ein wirksamer Schutz dagegen ist die jährliche Grippe-Impfung, der sich in erster Linie schwangere Frauen und Angehörige von Risikogruppen unterziehen sollten. Zudem empfiehlt sich die Impfung für alle Personen, die in der Öffentlichkeit oder im Gesundheitssystem arbeiten”. Die Durchimpfungsrate bezüglich Influenza ist in Österreich leider gering und liegt aktuell bei unter 10% der Gesamtbevölkerung.


Dr. Ludwig Knabl junior: Bei einem Teil der Fälle verläuft die Infektion mit SARS-CoV-2 symptomenarm oder symptomfrei. Dennoch können diese Personen das Virus weiterverbreiten!

RS-Foto: Archiv
Und bei einem Atomunfall?
Dr. Ludwig Knabl senior, Internist am Krankenhaus St. Vinzenz in Zams, ist Obmann des Vereins „Tirol hilft den Kindern von Tschernobyl“.  Der Verein hilft seit fast drei Jahrzehnten Kindern aus Weißrussland, die vom Reaktorunglück Ende April 1986 in der Ukraine betroffen sind. Die momentan schwierige Situation sowohl für die Bevölkerung, die Wirtschaft und vor allem die in der Gesundheitsversorgung tätigen Personen mit der Coronavirus-Pandemie lässt uns erahnen, welches Chaos und Leid erst bei einem AKW-Unfall mit einer großräumigen radioaktiven Verstrahlung herrschen würde. Alle Bevölkerungsgruppen wären gleichermaßen betroffen, am meisten aber die Kinder und das nicht nur für Monate, sondern Jahre und Jahrzehnte.  
Radioaktivität ist mit unseren Sinnen nicht wahrnehmbar, das macht sie so gefährlich. Es gibt nur sehr begrenzte Möglichkeiten sich dagegen zu schützen.


Wie der AKW-Unfall von Tschernobyl im April 1986 und Fukushima im März 2011 gezeigt haben, sind auch die Behörden bei einem derartigen Unfall hoffnungslos überfordert. Die medizinische Versorgung der Bevölkerung wäre in kurzer Zeit nicht mehr gewährleistet und es gäbe für viele Jahre keine sauberen Nahrungsmittel mehr. In der momentanen Krisensituation ist Beides vorhanden, es gibt genug qualitativ hochwertige Lebensmittel und eine gute medizinische Versorgung, auch wenn diese bald an ihre Grenzen stoßen wird.


Gegen die Gefahr durch das neue Virus kann man sich schützen, wenn man die von der Regierung und ihren Experten empfohlenen Verhaltensmaßnahmen einhält - auch wenn dadurch die alltäglichen Gewohnheiten und Bewegungsfreiheit für einen bestimmten Zeitraum eingeschränkt werden. Allerdings kamen diese Maßnahmen viel zu spät. Verschiedene ostasiatische Staaten haben bereits sehr früh auf die sich ausbreitende COVID-19-Epidemie reagiert und trotz ihrer geographischen Nähe zu China wirksam einer Überlastung ihrer Gesundheitssysteme vorbeugen können.


Vielleicht lernen wir aus dieser globalen Krise, dass Vorsorgemaßnahmen auf verschiedene Bedrohungen (Pandemien, AKW-Unfälle, Naturkatastrophen usw.) ein viel größerer Stellenwert eingeräumt werden muss. Vorsorgemaßnahmen nur vom ökonomischen Standpunkt zu bewerten, wie das bisher des Öfteren geschehen ist, ist ein fataler Irrtum.


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